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Solidarisch durch diese Zeit

Miriam Haseleu 

Wann?

Wann kommt die Zeit, in der es wieder leichter wird? Wie lange dauert es noch, bis wir wieder aufatmen können? Es ist schwer auszuhalten dieses Jahr. Im Sommer hat es sich doch fast so angefühlt, als seien wir über den Berg. Und nun ist die Pandemie mit einer solchen Wucht zurück. Anstrengend ist es. Und diese Unsicherheit, wie lange es noch dauern wird und was noch kommt, zerrt an den Nerven. Es braucht Kraft, die Hoffnung zu behalten.

Woran mache ich meine Hoffnung fest? An der Impfung? An der Vernunft der Menschen? Hoffe ich auf Solidarität? Disziplin? Auf die Medizin? Auf psychische Stärkung? Auf klarere Regeln? Auf ein Wunder?

Was, wenn es zu schwer auszuhalten wird, dass ich es nicht in der Hand habe?

Dann liegt es manchmal nahe, Schuldige zu suchen und auf die zu schimpfen, die es verbockt haben. Die Politiker:innen, die Ungeimpften, die, die an Karneval gefeiert haben, das Gesundheitssystem… Manchmal ist es fast egal, welche Gruppe ich dafür wähle. Das Prinzip ist das gleiche: Wenigstens jemand, auf den ich wütend sein und schimpfen kann. Das gibt ein minimales Gefühl von Kontrolle zurück. Und hilft ein wenig aus der Ohnmacht. Ich kenne das von mir selbst. Und doch bin ein paar Mal richtig erschrocken in der letzten Zeit. Über die Heftigkeit, mit der auch in meinem Umfeld eine andere Gruppe der Gesellschaft pauschal beschimpft und abgewertet wurde.

Ja, die Situation ist bedrohlich und sie geht uns alle an. Eine Bekannte von mir, Oberärztin auf einer Intensivstation, hat mir sehr eindrücklich den Personalmangel beschrieben, mit dem sie umgehen muss und der eigentlich gar nicht tragbar ist. Die pandemische Entwicklung ist beängstigend und macht mich ratlos. Doch auch die andere Entwicklung macht mir Sorge. Wenn die Nerven so blank liegen, dass wir uns gegenseitig beschimpfen und die Not der anderen abwerten. Es geht wie so oft im Leben um die Verbindung von Vernunft, Herz und Mitgefühl. Sonst kommt zur großen Krise noch eine weitere hinzu und es spielt denen in die Hände, die radikalisiert sind und die Gesellschaft spalten möchten.

Im biblischen Buch des Propheten Jeremia wird Gott in einer sehr schwierigen Zeit, in der sich viele Menschen von Gott verlassen fühlen, mit einem ungewöhnlichen Namen genannt: „Gott ist unsere Gerechtigkeit“ (Jer 23,6). Darin steckt das Versprechen, dass eine bessere Zeit kommen wird. Die Zeit der Gerechtigkeit. Nicht eine strafende Gerechtigkeit ist gemeint.

Gott setzt sich ein für die Armen, die Schwachen, die Schutzlosen, für die, deren Lebensrechte bedroht sind.

„Gott ist unsere Gerechtigkeit.“ – unsere, gemeinsam. Gott ist da, wo wir nachsichtig miteinander sind. Da, wo Gerechtigkeit zwischen uns aufblitzt. Da, wo wir hinsehen und freundlich sind – zum müden Nachbarn, zur erschöpften Freundin, zu den frierenden Menschen an den EU-Außengrenzen, zum verunsicherten Kind, zum ungeduldigen Teenager, zur einsamen Seniorin…

Die Zeiten werden wieder leichter werden. Bis dahin warten wir – notgedrungen, ungeduldig und gemeinsam.

– Miriam Haseleu