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Bunt, nachdenklich und fröhlich.
Unser Gottesdienst zu Erntedank mit einer roten Blume in der Hauptrolle.

Leider hat die Technik nicht mitgespielt. Das tut uns sehr leid. Hier daher die ganze Predigt zum Lesen!


 
Der Moment, in dem ein Kind ausspricht,
was kein Erwachsener sich zu sagen traute.
Ein Abend, der heller leuchtet als der Tag.
Ein Blick, der flüchtig ist und mir die ganze Woche nicht aus dem Kopf geht.
Eine Berührung, so zart und unabsichtlich,
die mit meinem Herzen spricht.
Ein Löwenzahn zwischen Betonplatten.
Wenn es dunkel wird, wenn es wieder kälter wird,
wenn die Nächte länger und die Tage kürzer werden,
wenn ich beginne zu frösteln, wenn ich die Lichter in
den Häusern schon um 20 Uhr brennen sehe –
dann ungefähr ist Erntedank.
 
Die Erinnerung an den Wechsel der Jahreszeiten.
Der Sommer mit der Fülle auf den Feldern ist vorbei.
Und es wird dauern, bis das Leben neu entsteht,
bis neue Knospen und neue Blüten wachsen.
 
„Und die Erde ließ aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringt,
ein jedes nach seiner Art, und Bäume, die da Früchte tragen,
in denen ihr Same ist, ein jeder nach seiner Art. Und Gott sah,
dass es gut war.“ (1. Buch Mose, 1,12)
 
In einer Zeit der Entbehrung ist dieser Text, ganz am Anfang unserer Bibel, entstanden.
Im unfreiwilligen Exil in Babylon, fern von der vertrauten Heimat und den eigenen Feldern,
in großer Unsicherheit, was die Zukunft bringen und wann wieder leichtere Zeiten kommen würden,
spricht dieser Text von der Fülle der Schöpfung und er erzählt staunend von dem Wunder des Lebens.
Von Leben in aller Vielfalt und von der dem Leben innewohnenden Kraft, sich zu entwickeln,
zu wachsen und neu zu werden. Immer wieder neu.
 
Und der Text erzählt davon, dass genau darin Gott am Werk ist.
Dass Gottes Geist in einer schöpferischen Kraft wirkt.
Dass Gott den Gräsern und Kräutern, den Bäumen und den Samen Zuwendung schenkt:
Gott sieht, dass es gut ist.
 
Diese zutiefst theologische Wahrnehmung der Natur als andauernde Schöpfung
Gottes erzählt davon, dass Leben neu wird. Durch den Winter hindurch,
durch die Dunkelheit hindurch, durch Krisen, ja, sogar durch den Tod hindurch.

Der Text ist selber wie ein Samenkorn:

Ein Samenkorn, das die Hoffnung, das Vertrauen und den Mut zu neuem Leben in sich trägt – mitten in der Krise.
Im kleinen Samenkorn steckt der Vorrat für ein ganzes Leben.
 
Ganz klein und doch so groß.
Im zartesten, kleinen Samenkorn überwintert das ganze Leben.
Gott ist die Hoffnung darauf, dass das Zerbrechliche, das Kleine, das Fragile, das Zarte groß und stark wird.
Ein Marienkäfer am Fensterrahmen im Winter.
Ein Osterei in der Weihnachtskiste.
 
Eine Melodie im Kopf – einfach so zwischendurch.
Eine Erinnerung, die schon lange zurück liegt und die immer noch trägt.
Ein Sprung in die Pfütze.
Ein Wasser, das Durst löscht.
Eine Suppe, die wärmt.
Ein Apfel, der belebt.
 
Wer hätte denn gedacht, dass aus dem kleinsten Samenkorn,
das niedriger fliegt und weniger schnell und stark ist, die schönste und größte rote Blume wird?

Die rote Blume steht heute hier im Mittelpunkt.
Auch unser Altarschmuck heute an Erntedank leuchtet rot.
Die rote Blume steht für die Kraft der Veränderung des Lebens.
Für die Kraft des Neuwerdens, des Überlebens. Die Kraft der Verwandlung.
Die rote Blume steht für Gottes schöpferischen Geist.
Das Spiel der Farben in der Natur – das ist Schönheit und Auftrag zugleich,
vor allem in dieser herausfordernden Zeit.
Wir staunen darüber, Teil davon zu sein. Wir feiern den schöpferischen Reichtum,
den zu schützen unsere Aufgabe ist.
Ja, wir sorgen uns um das, was kommen mag.
Es gibt Grund dafür und die Erde atmet schwer.
Aber zuerst setzen wir auf den Dank.
 
Es gibt Grund dafür. Die Erde trägt uns jeden Morgen ins Leben.
Wir erleben die Schönheit in aller Zerbrechlichkeit des Lebens,
die uns vielleicht noch bewusster ist als sonst.
 
Und so feiern wir Erntedank gerade jetzt, gerade heute.
Um mit dem Dank das Samenkorn mit in den Winter zu nehmen.
Mit der Hoffnung auf Leben, das neu wird, durch die Dunkelheit hindurch.
Auf dass wir alle die Kraft für neues Leben in uns tragen.
 
Zuerst setzen wir auf den Dank und dann nehmen wir es in die Hand:
Brot, das wir teilen, und Blume, Hoffnung und Zukunft.
Im Vertrauen auf Gott, der und die meinen Verstand mit Liebe übersteigt.
 
Amen.
 

– Miriam Haseleu