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Frau. Leben. Freiheit.

Politisches Nachtgebet in Solidarität mit den Protesten gegen das Mullah-Regime im Iran
18.1.2023 / Landessynode Düsseldorf / Mit Miriam Haseleu

Es ist die Zeit, unsere Stimmen zu erheben, Unrecht zu benennen und hinzuschauen, was im Iran passiert.

Letzte Woche gab es ein Politisches Nachtgebet in Solidarität mit den Protestierenden im Iran im Rahmen der Landessynode unserer Landeskirche in Düsseldorf. Danke an Shabnam Arzt für den persönlichen Bericht und an Schirin Partowi für die persische Musik. Es war ein bewegender Abend.

Der Gottesdienst wurde via Graphic Recording aufgezeichnet.

Hier die Predigt von Miriam Haseleu zum Nachlesen…

Ein Handyvideo. Eine junge Frau von hinten. Sie nimmt das Kopftuch ab. Ihre langen Haare fallen über ihre Schultern. Sie streckt die Hände in die Höhe. Als würde sie tanzen geht sie über die Straßen. Zwischen den Autos hindurch und an den bewaffneten Polizisten vorbei. Mit federndem Schritt. Mit erhobenen Händen. Mit offenen Haaren. Mitten in Teheran. Mitten in einem Land, in dem sie das das Leben kosten kann. Mit Schwung und mit Hoffnung. Und einem Mut, der mir den Atem raubt. Sie verwandelt ihr Leben in diesem Moment. Und das Leben von so vielen anderen, die die Bilder sehen und es ihr gleichtun.

In der Bibel, im Lukasevangelium, steht, dass Jesus gefragt wird: „Wann kommt das Reich Gottes?“ und er antwortet darauf: „Das Reich Gottes kommt nicht mit äußeren Zeichen; man wird auch nicht sagen: Siehe, hier!, oder: Da!

Denn sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch. […] Und wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum andern, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein.“ (Lk 17,20-24) Wenn ich den Text in diesen Tagen lese, denke ich an die Frau mit den offenen Haaren in Teheran.

Die Revolution im Iran hat eine Hymne: „Baraye“ heißt sie. Sie stammt vom 25jährigen Shervin Hajipour, der wenige Tage nach der Veröffentlichung des Lieds vom Regime verhaftet wurde. Doch zu spät: Das Lied war in der Welt. Unaufhaltsam. Es wird immer wieder neu im Internet hochgeladen, gecovert und weitergeschrieben.  „All das, was die islamische Republik dem Volk in den 43 Jahren ihres Bestehens angetan hat, kommt in diesem Lied vor“, sagt die deutsch-iranische Journalistin Natalie Amiri. Sie ist eine derjenigen, die mit den Menschen im Iran im direkten Kontakt stehen und immer wieder Videos, Texte und Infos über neue gewalttätige Übergriffe der Revolutionsgarde, über Verhaftungen, Folter und Hinrichtungen im Internet öffentlich machen.

Die Geschehnisse öffentlich sichtbar zu machen, die Namen der Verhafteten immer wieder zu nennen und auf allen Ebenen öffentlich gegen das Vorgehen des Regimes zu protestieren ist die einzige Chance für die iranische Bevölkerung.

Und ihren Worten Gehör zu verschaffen ist unsere Aufgabe. Den Text des Liedes „Baraye“ hat Hajipour aus Tweets über die Proteste und Sehnsüchte von Iranern und Iranerinnen zusammengestellt. „Baraye“ – der Titel des Songs, heißt übersetzt „für“ oder „wegen“:

Fürs Tanzen in den Straßen.
Für unsere Angst, erwischt zu werden, wenn wir uns küssen.
Für meine Schwester, deine Schwester und unsere Schwestern.
Für die Veränderung in diesen verrosteten Köpfen.
Für die Sehnsucht nach einem normalen Leben.
Ein normales Leben.

Das Reich Gottes kommt nicht mit äußeren Zeichen; man wird auch nicht sagen: Siehe, hier!, oder: Da! Denn sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch.

Für alle diese unaufhaltsamen Tränen.
Für die ermordeten Kinder, die uns fehlen.
Für lächelnde Gesichter
Für die Studierenden und ihre Zukunft
Für all die klugen Menschen im Gefängnis
Für den Sonnenaufgang nach den langen dunklen Nächten
Für das Mädchen, das sich wünscht ein Junge zu sein
… Für Frau, Leben, Freiheit

Und so viele werden verhaftet. Und so viele werden gefoltert und ermordet. Immer noch. Wann hört das auf? Wann kommt das Reich Gottes? Wann kommt es und wie?

Das Reich Gottes kommt nicht mit äußeren Zeichen; man wird auch nicht sagen: Siehe, hier!, oder: Da! Denn sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch.

Das Reich Gottes ist nicht hier oder dort. Das Reich Gottes kommt nicht durch Kampf. Aber im Kampf für Freiheit, Gerechtigkeit und Leben, da blitzt es auf. Hell, leuchtend, unübersehbar.

Im Schwung der offenen Haare im Wind auf den Teheraner Straßen. In dem Moment, in dem der Blumenverkäufer an der Straßenecke der Frau mit den offenen Haaren eine Rose in die Hand drückt. Das Reich Gottes ist da, wo das Undenkbare möglich wird.

Wo Barrieren fallen und Menschen sich an den Händen nehmen und miteinander für ihre Freiheit eintreten. Das Reich Gottes bist du und bin ich. Das Reich Gottes ist der Mut der Freiheit und der Lebensfreude.

Denn sehet: Das Reich Gottes ist mitten unter euch.

Es ist unter uns. Jetzt schon. Unter uns. Zwischen uns.  Ein Versprechen: Zwischen uns ist etwas. Wir sind eine Menschheit. Wir gehören zusammen.

Das Reich Gottes ist, wenn wir den Mund aufmachen für die Frauen im Iran. Wenn wir ihre Stimme sind und ihre Worte weitertragen. Wenn wir von ihrem Mut erzählen und ihre Revolution stärken.

Und zugleich warten wir. Warten wir sehnsüchtig – auf den Blitz von einem Ende des Himmels bis zum anderen.

Und wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum andern, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein.

Unübersehbar wird es sein. Sichtbar wird es sein und spürbar. Für alle. Das Reich Gottes. An jedem Ort. Hier in Düsseldorf genauso wie in Teheran und in den kurdischen Gebieten. Überall.

 Und dieses Versprechen ist es, das den Mut schenken kann, das Reich Gottes jetzt schon aufblitzen zu sehen. Mitten unter uns. Und so zu leben, als wäre es schon da.

Hier geht’s zum Beitrag auf bei der Evangelischen Landeskirche im Rheinland: